Reflexion über unsere Solawi-Jahre 2012-2017


Wir haben die "Selawilde", SElbst LAndwirtschaften mit der WILDEn Gärtnerei (im ersten Jahr "Soliwilde", Solidarische Wilde Gärtnerei) im 2012 initiert, weil wir in Beziehung mit den Essern unserer Lebensmittel treten wollten und die Finanzierung des Hofes anders als bis dahin sichern wollten. Der Markt war uns zu anonym und schwankend und wir waren auf dem Hof zu sehr alleine. Die Solawi war unsere erste sehr bereichernde Gemeinschaftserfahrung und auch eine umfassende Kommunikationserfahrung, die auch bald unterschiedliche Gemeinschaftsentwicklungen auf dem Hof hervorgerufen hat.

Wir haben selber Flyers verteilt, Infotreffen veranstaltet, Abholräume organisiert und Kiezgruppen gegründet. Zu Beginn, März 2012, haben wir dank einer großen Werbungskampagne und der Konzeptarbeit mit Berater Frank Viohl 60-80 Ernteanteile liefern können. Das war uns bald zu viel, es sind auch zu schnell sehr viele nicht genügend informierte Menschen als Mitglied geworden, sodass große Unzufriedenheit herrschte. Wir führten einen Hof-Probetag vor der Mitgliedschaft ein, da wir gemerkt hatten, dass einige Menschen mit unseren unkonventionellen und arbeitsintensiven Hofalltag nicht einverstanden waren und besser sich ein eigenes Bild machen sollten, bevor sie sich entscheiden. Das schloß natürlich viele Menschen auch aus. Auch unser Lebensmittelangebot und die Qualität waren noch nicht zufriedenstellend, wir waren noch am Anfang des Aufbaus einer umfassenden Selbstversorgungspalette. Also konzentrierten wir uns auf den Anbau: Es stieg relativ schnell die Qualität und die Verfügbarkeit der Lebensmittel. Gleichzeitig sank die Aufmerksamkeit für die Öffentlichkeitsarbeit und dementsprechend die Zahl der Mitglieder.

Mit den Jahren kamen weitere Ansprüche dazu. Uns ist bewusst, dass wir von den Mitgliedern mehr verlangten als andere Solawis es tun – die Wilde Gärtnerei hat einige, nicht unbedeutende Sonderwünsche oder Merkmale: wir verlangten, dass Biomasse zurück zum Hof geführt wird; die Hofeinsätze waren ein wesentlicher Bestandteil einer Mitgliedschaft, dabei waren es wie normale Arbeitstage; es wurden ausschließlich Hofprodukte angeboten, weil wir selber in Richtung Vollversorgung hinarbeiten; Probetage vor oder während der Probezeit wurden erwartet; die komplexe Liefertour und Bauer als Fahrer sorgten für dauerhafte Schwankungen in den Lieferzeiten; das ausgelastete bis überbelastete System der Wilden Gärtnerei verlangte, dass Absprachen wortgenau verstanden werden müssen und sorgte für wenig Fehlertoleranz.

Intern, in den Mitglieder-Vollversammlungen, haben wir uns ernsthaft mit der Weiterentwicklung der Solawi beschäftigt und Schritte genommen, die zum großen Teil positiv, aber manche auch negativ gewirkt haben: Mitgliedschaft immer zuerst zwei Monate auf Probe, Kiezgruppengebündelte Zahlungen statt Einzelüberweisungen, Kiezgruppenvereinbarung statt Einzelvereinbarungen, Quartalszahlungen statt Monatszahlungen, ganze und halbe Ernteanteile, das Einführen der Bieterrunde statt fix vorgegebene Mitgliedsbeiträge; das Weglassen der Mengenangaben im Lieferschein um die bedarfsorientere Verteilung der Lebensmittel zu fördern.

Im 2016 haben wir die bislang kleinsten Kiezgruppen beobachtet und spätestens gemerkt, dass es so nicht weitergeht. 17 Ernteanteile (inkl. ganze und halbe EAs) verteilt auf 4 Lieferorte war ein zerreißender Zustand. Ein großer Konfliktpunkt seit Beginn an und vermehrt in den letzten ein-zwei Jahren war die Annahme der Lieferung. Die sich wiederholenden Kommunikationsschwierigkeiten um die Annahme herum haben gegen Ende des Jahres 2016 erstmal zu Lieferungsverweigerung seitens des Hofes und dann zu dem Ergebnis geführt, dass die Annahmekommunikation ernsthaft verstanden wurde und Absprachen verbindlich eingehalten wurden – sowohl von der Stadtseite als auch von der Hofseite.

Was wir mit Struktur und Regeln haben versucht zu lösen, hatte seinen Ursprung jedoch ganz woanders: die Verantwortung sowohl für den Anbau, für die Anlieferung als auch für die Gesamtorganisation blieb gänzlich beim Hof und erweckte bei den Mitgliedern keine Eigeninitiative; die geringe Mitgliederanzahl einer Kiezgruppe war ein Faktor, der viele negative Auswirkungen auf das Gesamtsystem hatte: es kamen zu viele Aufgaben für ein Mitglied zusammen; es fehlte an Gruppendynamik und Gruppengefühl; der Werbungseffekt durch Mitglieder war sehr gering um die Fluktuation auszugleichen; das Kosten-Leistungsverhältnis bei der Anlieferung war für den Hof nicht stimmig. Auch sorgte die kleine Größe der Solawi dafür, dass die Solawi im Vergleich zu unseren anderen Vermarktungswegen ingesamt wenig Gewicht im Hofalltag hatte. Ein Teufelskreis: unsere geringe Eigeninitiative für Werbung machen war wiederum ein Grund für das Schrumpfen oder Nicht-Wachsen der Solawi.

Das Kommunikationssystem der Selawilde ist im Laufe der Zeit immer komplexer geworden, dabei war es uneinheitlich, ineffektiv und zum Teil redundant (Kiezgruppen-Etherpads, Hauptmailverteiler, Kiezgruppenmailverteiler, das Grundsatzpapier). Die Werkzeuge ließen es nicht zu, dass die Energien, die wir alle zur Verfügung haben, sinnvoll gelenkt wurden.

Das alles ließ uns fragen: Funktioniert Solidarische Landwirtschaft nicht? Funktioniert sie nur in Berlin nicht? Funktioniert sie nur bei uns nicht?

Die Selawilde ist eine Hofinitiative geblieben, obwohl wir uns verschiedenste Strategien ausgedacht haben, wie wir Verantwortlichkeiten in die Stadt verlagern können. Daraus ist nur punktuell Stadtinitiative gewachsen, die dann immer spätestens am Ende eines Wirtschaftsjahres gestorben ist, weil die Fluktuation der Mitglieder sehr hoch war. Das ist wahrscheinlich auch ein sehr Berliner Phänomen. Wichtig zu erkennen war auch, dass die Wilde Gärtnerei durch seiner unkonventionellen Art eher junge Leute anspricht, die wiederum im Leben sehr beschäftigt sind und nur wenig zeitliche Kapazitäten für ihre Solawi haben. Eine echte Selbstorganisation oder Informationsweitergabe bei Ein- und Ausstiegen sind Sachen wovon wir nur geträumt haben.

Eine Solawi-Kooperation bringt die Konsumenten dem Produktionsort sehr nah, auch im negativem Sinne. Wir führen auf dem Hof ein authentisches Leben, mit hohen Ansprüchen und Herausforderungen, und machen die Lebensgrundlagen zum Kernthema. Damit kommt nicht jeder klar. Das gilt es in der Zukunft noch klarer auszusprechen. 

Fazit

Vor fünf Jahren hatten wir viel Pioniergeist der Solidarischen Landwirtschaft gegenüber und haben viel Energie reingeben können - mittlerweile haben wir drei Kinder und einen belebten Hofalltag, auch wollen wir eine größere Gemeinschaft aufbauen - unser Pioniergeist geht in eine andere Richtung. Das Konzept der solidarischen Landwirtschaft ist uns weiterhin sympatisch und definitiv erstrebenswert, aber wir brauchen eine Transformation, denn die bisherige Situation ist zu weit weg von unseren Idealen und zudem nicht praktikabel. Wir haben eine Kündigung gewagt, denn gefangen im jetzigen System bekamen wir es nicht hin, die Kooperation zu revolutionieren oder neuzudenken. Die Hofinitiative muss sterben um Platz für eine echt selbstorganisierte Solawi zu machen. Wir wollen ein Solidarhof werden und bleiben! Wir wollen weiter forschen, ob und wie solidarische Landwirtschaft funktionieren kann. Wir haben erkannt, wo viele Fehler lagen: All die gemachten Erfahrungen lassen sich in eine Solawi auf einer neuen Grundlage integrieren. Dafür laden wir und unsere Mitglieder zu einem Neugründungstreffen ein!

Sanna und Roberto
Wilde Gärtnerei
April 2017